Kundenzentrierung verlangt eine crossfunktionale Zusammenarbeit

von Anne M. Schüller
23. Oktober 2019
Kundenzentrierung verlangt eine crossfunktionale Zusammenarbeit

Kunden lassen sich nicht an Service, Sales und Marketing wegdelegieren. Jeder im Unternehmen muss sich um ihr Wohlbefinden kümmern. Selbst die kleinste kundenrelevante Unannehmlichkeit kann zu einem Einfallstor für Disruptoren werden. Eine stark verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist zwingend. Dazu braucht es Personen, die Kundenbelange crossfunktional koordinieren.

Die meisten Probleme, die Kunden bekommen, passieren über Abteilungsgrenzen hinweg: Kommunikations- und Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichsegoismen, isolierten Zielen und starren Budgets. Eine typische Customer Journey hingegen verläuft immer quer durch die Unternehmenslandschaft – und sie wandelt sich ständig. Demnach verlangt sie eine hochflexible, individualisierte und gleichzeitig synchronisierte Zusammenarbeit.

Doch unternehmensintern fallen die kundenrelevanten Aktivitäten meist unkoordiniert auseinander. Hier die Werbung, da das Callcenter, dort der Vertrieb. Die Online-Spezialisten machen komplett ihr eigenes Ding. Und die Service-Leute hängen irgendwo mittendrin. Solch eine Aufgaben-Fragmentierung ist aus Kundensicht katastrophal: Vieles wird doppelt gemacht, manches gar nicht, einiges bleibt ewig liegen, das meiste wird in unterschiedlicher Qualität oder nach Schema F erbracht.

Abteilungsdenke ist dem Kunden völlig egal

Die größte Umsatzverschwendung entsteht aus einem Mangel an Zusammenarbeit. Viele Probleme an den einzelnen Touchpoints und im Verlauf einer Customer Journey sind den Unternehmen auch wohlbekannt. Sie werden aber nicht angegangen, weil sie siloübergreifende Ursachen haben. In die Hoheitsgebiete anderer greift man eben nicht ein. Wirklich kundenorientiert ist aber nur der, der sämtliche möglichen Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass nur noch positive Erlebnisse übrigbleiben.

Für einen Kunden ist es indiskutabel, wenn die Prozesskette bereichsübergreifende Störungen hat. Er betrachtet ein Unternehmen immer als Ganzheit. Ihm ist es schlichtweg egal, was hinter den Kulissen passiert, wer wofür zuständig ist und warum es wo klemmt.Abteilungsgrenzen und Abstimmungsprobleme interessieren ihn nicht. Ob eine Lösung aus dem Service, dem Marketing oder dem Vertriebsbereich kommt, ist für ihn ohne Belang. Und die Konkurrenz ist immer nur einen Click weit entfernt.

Funktionssilos konterkarieren jede Vernetzung

Herkömmliche Unternehmen sind nach wie vor pyramidal organisiert – und genau das ist die Krux. Denn Wertschöpfung wird nicht Topdown und in Silos, sondern quer durch das Unternehmen erbracht. Da, wo alles hierarchisch von oben nach unten verläuft, fehlt es an horizontaler Koordination. Verlangsamte Entscheidungsprozesse sind unausbleiblich. Man verliert sich in endlosen Absicherungsschleifen, verirrt sich im Geflecht der internen Bürokratie und verharrt in althergebrachten Routinen.

Abteilungen stehen für Trennung, Abschottung und Isolation. Sie beharren auf Standardprozesse, unterhalten ausufernde Reportingstrukturen und produzieren Vorschriftenberge. Dies sind Selbsterhaltungsmechanismen, sie dienen zudem der Bedeutungserhöhung. Durch einen wasserkopfartigen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Steuerungsadministration schaffen sich viele Bereiche überhaupt erst eine Existenzberechtigung.

Besser crossfunktional um Kundenprojekte herum

Ein vernetzter Kunde verträgt keine unvernetzte Unternehmensorganisation. So sind Silo-Architekturen mit der Flexibilität und dem zunehmenden Tempo, das die Kunden heute verlangen, längst nicht mehr kompatibel. Silos sorgen für einen gefährlichen Tunnelblick, Netzwerke hingegen für eine reiche Rundum-Perspektive. Wirklich Neues entsteht an Schnittstellen und dort, wo flexible Einsatztruppen bereichsübergreifend und selbstorganisiert miteinander agieren – jedoch niemals in Silos.

So werden in fortschrittlichen Unternehmen passende Kompetenzen über Abteilungsgrenzen hinweg zusammengeführt. Dort organisieren sich die Mitarbeiter interdisziplinär um Kundenprojekte herum: die Entwickler, die Produktion, das Marketing, der Vertrieb, die Logistik, der Kundendienst und wer sonst noch wichtig ist, agieren als Team autonom an gemeinsamen Aufgabenstellungen, damit das Ganze wie aus einem Guss funktioniert. Und alles wird iterativ mit den Kunden abgestimmt.

Touchpoint Manager sind Kundenadvokaten

Eine hundertprozentige Kundenfokussierung benötigt einen internen Vertreter der Kundeninteressen, der entlang der Customer Journey die jeweils involvierten Bereiche miteinander verknüpft. Er ist das Bindeglied zwischen drinnen und draußen. Als Koordinator bringt er die Kundenerlebnisse an den einzelnen Touchpoints zu einem perfekten Zusammenspiel. Mancherorts spricht man dabei vom Customer Experience Manager, vom Customer Journey Manager oder vom Customer Centricity Manager.

Ich nenne dieses Bindeglied, diesen Brückenbauer, diesen Kundenadvokaten im Unternehmen den Customer Touchpoint Manager. Er ist der Reisebegleiter auf der „Reise“ des Kunden durch die Unternehmenslandschaft. Seine Kernaufgabe ist es, an den Touchpoints zwischen Produkten, Services, Lösungen, Marken, Plattformen, Mitarbeitern und Kunden alles in Einklang zu bringen. Sein Ziel ist die Transformation des gesamten Unternehmens hin zu einer vernetzten, kundenzentrierten Organisation.

Wie ein Customer Touchpoint Manager vorgeht

Um funktionsübergreifend das Bestmögliche für die Kunden zu erreichen, wird ein Customer Touchpoint Manager die jeweils passenden Experten aus den einzelnen Bereichen zusammenbringen. In selbstorganisierten Einheiten verknüpft er die einzelnen Kundenprojekte zu einem großen Ganzen. Zu diesem Zweck entwickelt er einen Methodenbaukasten und bringt die zusagenden Instrumente zum Einsatz.

Ohne jedes Abteilungsinteresse kann der Touchpoint Manager chronologisch erkunden, wie die Kunden tatsächlich kaufen – und warum nicht. Die „Moments that matter“, also die aus Kundensicht besonderen Momente über- oder unterdurchschnittlicher Kundenzufriedenheit, wird er eingehend sondieren. Zudem wird er die typischen Einstiegs- und Ausstiegspunkte der Kunden ganz genau untersuchen.

Als neutraler Dritter kommt er an die wahren Gründe für das Kommen und Gehen der Kunden viel besser heran. So ist der angebliche Hauptgrund für einen Kundenverlust fast immer der Preis. Eine Tiefenanalyse der kritischen Ereignisse jedoch offenbart: Mängel in der Ablauforganisation spielen bei Kundenmigration oft die entscheidende Rolle. Kundenbezogene Abläufe besser zu koordinieren rechnet sich also schnell.

Über die Autorin

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Sie zählt zu den gefragtesten Rednern im deutschsprachigen Raum. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk XING zum XING-Spitzenwriter 2018 gekürt. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager aus. Kontakt über: www.anneschueller.de

Das Buch zum Thema

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen

Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft

Gabal Verlag 2019, 312 Seiten

ISBN: 978-3869368993

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