Das Motto der CCW 2014 ist kurz, knackig und …katastrophal in seiner Aussage. Der Slogan „Wir machen den Dialog“ enthält gleich zwei fatale Irrtümer: „Wir“ bedeutet, dass der Dialog Eigentum der Call Center ist. Andere Organisationseinheiten sind demzufolge nicht verantwortlich oder nicht wichtig, wenn es um den Dialog mit den Kunden geht. Zweiter Irrtum – und der wiegt weitaus schwerer: Das Unternehmen mit seinem Call Center erhebt den Anspruch, Dialoge zu führen und zu gestalten. Kein Wort, keine Silbe zum Kunden und seiner Rolle in diesem Spiel. Doch der Reihe nach. Wie kommt ein solcher Slogan zustande?
Die Call Center Branche beschäftigt rund 500.000 Mitarbeiter, etwa so viele wie die Chemie Branche. Das Image allerdings liegt in Deutschland am unteren Ende der Beliebtheitsskala. Dieses Negativ-Image begleitet die Branche seit ihrer Geburtsstunde. Kaum ein Tag vergeht, in dem nicht eine große Tageszeitung, ein Radiosender, ein Meinungsmacher über die Branche herfällt und neue negative Schlagzeilen produziert. Wie ein Reflex schließt sich die Branche zusammen, reagiert beleidigt und feiert lieber im engsten Familienkreis – sozusagen unter Freunden. Man ist unter sich, ohne Kritik und schimpft lauthals darüber, dass die anderen die Leistung, das Positive ignorieren und nicht wertschätzen. „Wir machen den Dialog“ ist die trotzige Reaktion einer Branche, die sich missverstanden und beleidigt fühlt.
Der Kunde macht den Dialog im Call Center– und niemand sonst
Die Entwicklung des Kundenverhaltens, die geänderten Einstellungen zur Kommunikation mit Unternehmen scheinen unbemerkt an der Call Center Branche vorbeizugehen, hat man hin und wieder den Eindruck. Seit 2006 geht das Anrufvolumen zurück. In vielen Studien dokumentieren die befragten Personen, dass sie die asynchrone Kommunikation einem Anruf vorziehen. Gleichzeitig wünschen sie sich eine Verbesserung der persönlichen Kommunikation in den Fällen, wo sie mit einem Unternehmen reden wollen oder müssen.
Die Verlagerung auf Selfservices, die Nutzung von Apps und digitalisierten Geschäftsprozessen schreitet unaufhaltsam voran. Ganz zu schweigen davon, dass die Kunden auch ein anderes Selbstbewusstsein im Umgang mit Unternehmen entwickeln. Sie sind sehr viel selbstbewusster, informierter und fordernder als vor 5 oder 10 Jahren. Communities, Social Media Plattformen, all dies führt dazu, dass der Kunde am Drücker ist und bestimmt, wann, wo und wie er kommunizieren will oder möchte.
Der Anspruch vieler Unternehmen geht nach wie vor davon aus, die Kontrolle über den Dialog mit dem Kunden zu besitzen oder besitzen zu wollen. Das Dogma von der Beherrschbarkeit einer Kundenbeziehung ist jedoch realitätsfern. Selbstverständlich kann man Kunden in Kundenwertklassen einteilen und auf Basis interner Datamining Verfahren diesem Kunden dann ein „tolles“ Angebot für ein neues Produkt unterbreiten. Allerdings funktioniert diese Marketing- und Vertriebsmaschinerie nicht mehr wie in den 60er und 70er Jahren. Die Berieselungstaktik stösst auf Widerstand bei den Kunden. Die Erfolgsquote bei Outbound-Kampagnen und Direktmarketing-Aktionen geht vielfach zurück. Das Loslassen fällt den Unternehmen jedoch schwer. „Wir machen den Dialog“ ist auch der Ausdruck genau dieses überkommenen Anspruchs.
Die Beherrschbarkeit hat insbesondere bei Call Centern nachvollziehbare Gründe. Die Planung des Personalbedarfs auf Basis der Anrufvolumina, der durchschnittschlichen Gesprächsdauer etc. ist elementar wichtig, um die Erreichbarkeit usw. zu steuern und die Kosten im Griff zu halten. Je komplexer die Medien- und Kanalwelt wird, je weniger plan- und steuerbar das Verhalten ist, desto größer sind die Risiken von Unter- oder Überbesetzung. All dies sind Unternehmensziele, die auf Effizienz abzielen. Nachvollziehbar – aber sie dürfen nicht zum Grundgesetz des Kundenservice werden.
Kunden lassen sich nicht mehr in vordefinierten Abläufe und Prozesse zwängen, sie begehren auf, wenn die standardisierten, blutleeren Prozesse zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Dabei ist die Lösung relativ einfach. Loslassen und mit dem Kunden kooperieren. Ihn in den Lösungsprozess einbinden und sich davon verabschieden, ihn managen zu wollen.
Überall dort, wo Unternehmen das Dogma „Wir machen den Dialog“ durch „Du, lieber Kunde, machst den Dialog“ ersetzen, lösen sich viele Probleme von selbst. Bei giffgaff, Simyo, Dell oder Samsung gibt es Plattformen, auf denen Kunden anderen Kunden helfen – freiwillig und ohne Bezahlung. Und oft besser, als die Mitarbeiter des Unternehmens, weil sie als Kunde viel besser die Sprache des Kunden verstehen. Im klassischen Management ist ein solches Verlagern auf Kunden, das Nicht-Kontrollieren-Können, eine Bedrohung. Noch schlimmer sind aus diesem Blickwinkel Communities zu bewerten, bei denen der Dialog völlig ohne das Unternehmen und ausserhalb des Einflussbereiches des Managements stattfindet.
Ein Kunde – Ein Mitarbeiter: Ein Spiel, dass nicht mehr funktioniert.
Kommen wir zum zweiten Irrtum. Der Anspruch „Wir machen den Dialog“ hat auch eine Signal-Funktion an andere Abteilungen im Unternehmen: Dass sich bloß keiner erdreiste, Ansprüche in Sachen Kommunikation mit dem Kunden anzumelden. Hier spürt man, wie die Angst vieler Call Center Verantwortlicher aus allen Poren kriecht. Die Jahre des satten Wachstums und des Verlagerns vieler interner Aufgaben in das Call Center sind vorbei und das Image, man kann alles und jeden Geschäftsprozess in ein Call Center verlagern, hat schwere Kratzer abbekommen.
Die Komplexität der Produkte und Dienstleistungen hat in allen Lebensbereichen dramatisch zugenommen. 3D-Drucker, virtuelle Supermärkte, ein Armband, mit dessen Hilfe man seinen PC fernsteuern kann. Die Flut mit der neue Produkte und Dienstleistungen auf die Kunden und Märkte einstürmen, ist immens. Globalisierung und Vernetzung sorgen dafür, dass die Konsumenten einem wahren Feuerwerk an Produktinnovationen ausgesetzt sind. Die Art und Weise, wie wir kommunizieren und Produkte nutzen, entwickelt sich nicht linear und gemächlich, sondern hat atemberaubende Züge angenommen – mit der Konsequenz, dass viele Produkte und Dienstleistungen vom Kunden ganz neu erlernt und begriffen werden müssen.
Jeder von uns wird bei bestimmten Innovationen zu einer Art „Virgin“-Kunde, immer dann, wenn wir mit etwas gänzlich neuem konfrontiert werden. In den Unternehmen können die Mitarbeiter im Kundenservice nicht mehr Schritt halten mit der Wissensexplosion. Trotz Wissensmanagement-Systemen stehen die Mitarbeiter im Call Center immer häufiger vor dem Problem, die Kundenanfrage nicht mehr eigenständig lösen zu können. Andere Kollegen in anderen Fachabteilungen müssen zu Rate gezogen werden. Das, was Kunden im Markt mit Communities praktizieren – sich zu Produkten austauschen, gegenseitig helfen, Ratschläge und Tipps geben – wird für Unternehmen intern zu einer Überlebensnotwendigkeit.
Collaboration Systeme, mit denen Mitarbeiter das Wissen des Unternehmens nutzen können, sind auf dem Vormarsch. Damit wird aber auch die Kommunikation nicht länger von einem Mitarbeiter gesteuert und gemanagt, sondern wird zu einem kollektiven Prozess, der nur funktioniert, wenn das Kollektiv auf Egoismen verzichtet. „Wir sind der Dialog“ wird nur dann erfolgreich, wenn das Wort „wir“ das Unternehmen als Ganzes einbezieht und nicht an der Call Center Tür aufhört.
Slogans, die mit „Wir sind“, „Wir machen“ beginnen, können durchaus eine kraftvolle Wirkung entfalten, wie man aus der deutschen Geschichte weiß. Wenn mit „wir“ die Kunden und das „Volk“ gemeint sind, würde der Slogan der CCW durchaus passen. Aber so ist das wohl nicht gemeint.
3 Kommentare
Lieber Herr Henn, Danke für den Beitrag. Sie haben Recht, wenn Sie die Kritik auf Callcenter beziehen, denn es wäre anmaßend zu behaupten eine b to c Kommunikation, wäre die einzige Dialogform. Allerdings in den Jahren in denen ich den Fachbeirat der CCW jetzt begleiten durfte, wurden Kongress und Messe systematisch zu einem Marktplatz für alle Dialogformen ausgeweitet. Und was ist Kommunikation im Netz oder eine Messe oder einem Kongress anderes als der neue, gute alte Marktplatz wo man sich trifft, Meinungen austauscht und Dialoge führt. Ob Medien ( z.B. das Handelsblatt schickt einen leitenden Redakteur zur Diskussion über die Branche in den Kongress) oder Azubis, oder Interessenten. Ob Live Center Besichtigung vor Ort oder oder oder. Die Interaktion mit dem Kunden via app oder hier im Netz. Viel mehr Dialog kann ich mir nicht vorstellen. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch für mich konkrete Anregungen haben. Ich habe nach Ihrem gut geschriebenen Beitrag überlegt ob wir nur über das Wörtchen „den“ sprechen. Denn eigentlich könnte es auch heißen. „Wir machen Dialog“. So wie jetzt. Danke für die Inspiration.
[…] im Kundenservice der Unternehmen nie weit oben auf der Agenda standen. Man erweckt den Eindruck, so Harald Henn in einem Gastbeitrag für den Smarter Service-Blog, andere Organisationseinheiten seien nicht weiter wichtig, wenn es um den Dialog mit den Kunden […]
Hallo Herr Henn,
sehr schöner Artikel.
Ich stimme Ihnen in den meisten Punkten durchaus zu. Vor allem im wesentlichen, der Kunde beginnt und steuert den Dialog. Den Kontrollverlusten sind Unternehmen seit Jahr und Tag ausgesetzt, kein Unternehmen, hat es je wirklich geschafft den Dialog zu steuern. Unternehmen ihren Kunden vielleicht Leitplanken gesetzt, aber diese sind immer durch die Kunden gebrochen worden.
„In den Unternehmen können die Mitarbeiter im Kundenservice nicht mehr Schritt halten mit der Wissensexplosion. Trotz Wissensmanagement-Systemen stehen die Mitarbeiter im Call Center immer häufiger vor dem Problem, die Kundenanfrage nicht mehr eigenständig lösen zu können. Andere Kollegen in anderen Fachabteilungen müssen zu Rate gezogen werden.“
Auch das ist im übrigen kein gänzlich neues Problem. Und auch hier ist das Problem eher hausgemacht. Die komplette Zentralisierung von Anfragen Kanälen hin zu Contact-Centern haben die Unternehmen enorm viel an Effizienz gewonnen. Leider dabei einen wesentlichen Faktor, das Thema Know-How, gänzlich vergessen.
Auf der anderen Seite ist dies das bekannte Henne-Ei Problem. Den seien wir mal ehrlich, wer kennt sich am besten mit einem Produkt/einer Dienstleistung aus. Derjenige, der sie entwickelt bzw. produziert hat. Und jetzt beginnt der Teufelskreis: Wenn derjenige der entwickelt hat alle Anfragen beantworten soll, wer entwickelt dann noch bzw. weiter?
Diese Barriere kann kein System dieser Welt lösen. Aus diesem Grund liegt der Fehler wohl eher darin, dass wir anstelle von spezialisieren Kundenorganisationen in kleinen Gruppen riesige Customer Service Organisationen haben, die alle Fragen beantworten sollen. Das dies schon seit jeher kein Wissensmanagement System gelöst hat, sollte dabei wenig überraschen.
Den um eine Anfrage zu lösen, muss ich sie verstehen und verstehen kann ich etwas nur, wenn ich mich damit beschäftigen kann. Ich komme aber nicht dazu mich mit allen für mich relevanten Themen zu beschäftigen wenn ich wie die meisten Call-Center Mitarbeiter heute für 3000 Dinge Spezialist sein soll.
Im übrigen helfen sich Kunden seit Jahren über Foren etc. gegenseitig. Daher ist diese Art und Weise der Eigenregie des Kunden nicht wirklich neu.
„Seit 2006 geht das Anrufvolumen zurück.“
Auch diese Aussage würde ich nicht 1:1 so unterschreiben, weil er deutlich zu weit gefasst ist. Es gibt genug Branchen wo das Anrufvolumen sogar deutlich gestiegen ist. Beispiel gefällig?
Apple: Seit dem ersten Verkauf des IPhone im Jahre 2007 ist die Anzahl der Anrufe so weit gestiegen, dass der Support für Deutschland/Österreich/Schweiz von Anfangs 50 auf heute 380 Mitarbeiter ausgeweitet wurde. Und wohl gemerkt, der Apple Support ist nur für technischen Support zuständig.
Und warum, weil Apple etwas komplett neues entwickelt hat, etwas innovativ anderes.
Warum sinken aber die Anzahl der Calls bei den klassischen Telekommunikationsunternehmen? Weil es dort kaum wesentliche Innovationen gibt. DSL ist heute bereits Standard. Es ändern sich die Geschwindigkeiten etc. Mehr nicht.
Zu guter letzt, dass sinken der Call-Zahlen ist in meinen Augen ohnehin keine wirklich brauchbare Aussage, den entscheidend für die Kontakt-Center ist ja, wie sich die Gesamt-Anzahl der Anfragen über alle Kanäle verhält.