Eine Customer Journey verläuft immer quer durch die Unternehmenslandschaft. Deshalb strukturieren sich Zukunftsunternehmen entlang der Kundenaufgaben. Aus Kundensicht müssen Prozesse crossfunktional funktionieren.
Früher sorgten mangelnde Marktransparenz und geringe Angebotsdichte dafür, dass die Kunden keine allzu großen Ansprüche an Produkte und Serviceleistungen stellten. Sie nahmen hin, was die Anbieter boten: schwankende Qualität, lange Lieferzeiten, lieblosen Service. Unternehmen mussten gar nicht kundenzentriert sein. Diese Einstellung zieht sich bei vielen Unternehmen bis heute durch.
Woran das sichtbar wird? Der Kunde hat sich gefälligst in die vorgedachten Abläufe zu fügen, umständliche Formalien zu akzeptieren und im Takt einer altersschwachen Software zu ticken. Interne Effizienz steht an erster Stelle – und nicht der Kunde. Manche Unternehmen sind richtig gut darin, Vorgehensweisen mühsam zu machen, einem die Zeit zu stehlen und schlechte Gefühle zu verbreiten.
Anbieter, die weit vorne spielen, haben hingegen verstanden, dass allein die Kunden darüber entscheiden, wer überlebt – und wer nicht. Wer durchstarten will, muss sich radikal auf die Seite des Kunden stellen. Und alles, was nicht dem direkten Kundenwohl dient, muss konsequent abgebaut werden. Der Kunde ist das Wichtigste im Unternehmen. Kundenzentrierung wird damit zur Herausforderung Nummer eins.
Das Kundenverhalten hat sich drastisch gewandelt
Warum das so ist? Die Digitalisierung, das Internet und die Social-Media-Plattformen haben das Suchverhalten und die Kaufprozesse der Kunden in den letzten Jahren radikal verändert. Der Medienkonsum verlagert sich über Mobilgeräte immer stärker ins Web. Das Web sorgt zudem für völlige Markttransparenz. Hierbei tauschen sich die Kunden untereinander aus und verbinden sich zu Netzwerkschwärmen.
Zudem sind die Märkte längst übersättigt. In einer Überangebotssituation von Waren, Dienstleistungen und Informationen wird alles, was nicht wirklich, wirklich wichtig ist, gänzlich ausgeblendet. Nur noch die aus Kundensicht hochrelevanten Marken, Lösungen und Services kommen auf die Anschaffungsliste und in den Warenkorb.
Zudem ändern sich die Gewohnheiten der Menschen ständig. Und ihre Ansprüche steigen. Messlatte ist meist nicht der Wettbewerb, sondern branchenübergreifend der Beste seines Fachs. Klassische Statussymbole verlieren an Reiz. Individualisierung, Emotionalisierung, Erlebnisse und ein ganz persönlicher Lifestyle, das sind heute die großen Trends. Wer auf diese Kundenbedürfnisse eingeht, sorgt für Loyalität, für Mundpropaganda und für Aufpreisbereitschaft.
Dabei werden Empfehler und Influencer zunehmend zu Wegbegleitern und Kaufberatern. Solche „wissende Dritte“, also Menschen, die ihre Erfahrungen im Web mit anderen teilen, sind aus Kundensicht weitaus glaubwürdiger als die aufgebauschten Anbieterversprechen. Dritte beeinflussen Entscheidungsprozesse auch deshalb maßgeblich, weil sie diese durch ihre Hinweise einfach und sicher machen.
Alles aus dem Blickwinkel des Kunden betrachten
Man mag solche Entwicklungen schätzen oder auch nicht, doch sie aufzuhalten ist unmöglich. Topmoderne Performance, digitalisierte Dienstleistungen und eine Obsession für Kundenbelange sind also das Ziel. Kundenfreundliche Unternehmen betrachten jeden internen Prozess aus dem Blickwinkel der Kunden, kooperieren mit ihnen und binden sie aktiv in Optimierungen ein.
Unternehmen hingegen, die uns altertümliche und umständliche Verfahrensweisen aufbürden oder unnötig unsere wertvolle Zeit verschwenden, weil sie so langsam agieren, werden vom Markt verschwinden. Was kompliziert ist, scheidet genauso aus wie alles, was Probleme macht. Die Geduld der Kunden ist sehr schnell zu Ende, wenn etwas nicht gleich reibungslos klappt.
Digitale Unterstützung ist fortan unumgänglich. Zum Beispiel werden die Kunden in Zukunft erwarten, dass man sie vorausschauend auf Serviceanlässe hinweist. Am besten sorgen Anbieter proaktiv dafür, dass Probleme erst gar nicht entstehen. Hierzu werden Echtzeitdaten genutzt, um Prognosen für die nahe Zukunft zu erstellen. „Predictive Maintenance“, die Instandsetzung, bevor etwas kaputtgeht, ist eines der Einsatzgebiete. Bei all dem bleibt die menschliche Komponente auch in Zukunft von hoher Bedeutung. Wer seine Mitarbeiter komplett durch digitale Tools ersetzt, riskiert Kundenverluste. Alle Kommunikationskanäle müssen offen sein, damit der Kunde jederzeit nach Lust und Laune wählen kann.
Die Kluft zwischen Eigen- und Fremdbild ist riesig
Die meisten Manager glauben, sie seien in Sachen Kundenorientierung richtig gut. Doch eine weltweite Studie des IT-Dienstleisters Capgemini ergab: Während 80 Prozent der Führungskräfte meinen, dass ihre Marke die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden kennt, bestätigen das gerade einmal 15 Prozent der Konsumenten.
Ein verstellter Blick für das, was Kunden wirklich wollen, ist also eher die Norm. Ein erster praktischer Schritt in die richtige Richtung? Im Meeting bleibt ein Stuhl frei, und wer sich draufsetzt, gibt die mahnende Stimme des Kunden, die darum bittet, neben Kosten und interner Effizienz auch an seine Belange zu denken.
Was Kunden im Kern von einem Anbieter wollen, lässt sich so zusammenfassen:
- mach es so einfach wie möglich,
- mach den Zugang möglichst bequem,
- gib mir die bestmögliche Lösung,
- gib mir diese so schnell wie möglich,
- gib mir Hilfe, wenn ich sie brauche,
- gib mir bei all dem ein gutes Gefühl.
„Vom Kunden her denken“ wird dabei zur Pflicht. Hierzu folgt man nicht länger dem selbstzentrierten alten Unternehmertum, das fragt nämlich so: „Was bieten wir dem Markt und den Kunden wann, wie und wo an, damit wir noch erfolgreicher werden?“ Der neue Unternehmer hingegen fragt so: „Was will/braucht/begehrt der Kunde von heute und morgen, und wie können wir helfen, seine Lebensqualität respektive seinen beruflichen und/oder geschäftlichen Erfolg zu erhöhen?“
Customer first! Erst der Kunde, dann die interne Effizienz!
Jeder im Unternehmen muss sich um das Kundenwohl kümmern. Aber ist das nicht völlig normal? Nein, ganz und gar nicht. Die meisten Unternehmen agieren selbstbezogen und finanzgetrieben. Heißt: Die Klientel soll ackern, damit man selbst nicht so viel Arbeit hat. Doch Zukunftsfähigkeit lässt sich nicht ersparen, schon gar nicht zu Lasten der Kunden.
Die eigentlichen Probleme, die man als Kunde bekommt, passieren zudem meist crossfunktional: Kommunikations- und Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichsegoismen und einzuhaltenden Planvorgaben. Doch aus Kundensicht müssen Prozesse abteilungsübergreifend funktionieren und sich reibungslos miteinander verzahnen.
Smarte Unternehmen haben das längst verstanden. Sie bauen ihre Teams interdisziplinär um Kundenprojekte herum, und zwar entlang der Wertschöpfungskette, in der die Kundenleistung entsteht: der Entwickler, der Designer, die Produktion, der Vertrieb, der Kundendienst und wer sonst noch wichtig ist, agieren gemeinsam als Team.
Wirklich kundenorientiert ist nur der, der sämtliche möglichen Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass nur noch positive Erlebnisse übrigbleiben. Wenn es irgendwo stockt oder ein Mitarbeiter was verbockt, kann das sofort das Aus bedeuten. Schon ein einziges schlechtes Ereignis kann alle vorherigen guten Erfahrungen zunichtemachen.
Der Customer Touchpoint Manager: heutzutage ein Muss
Kundenzentrierung braucht einen Vertreter der Kundeninteressen, der entlang der Customer Journey die jeweils involvierten Bereiche und Prozessketten miteinander verknüpft. Als Koordinator bringt er die Kundenerlebnisse an den einzelnen Touchpoints zu einem perfekten Zusammenspiel. Mancherorts spricht man dabei vom Customer Experience Manager oder vom Customer Centricity Manager.
Ich nenne dieses Bindeglied, diesen Brückenbauer, diesen Kundenadvokaten im Unternehmen den Customer Touchpoint Manager. Er ist der Reisebegleiter auf der „Reise“ des Kunden durch die Unternehmenslandschaft. Er kümmert sich darum, dass an den einzelnen Haltepunkten alles störungsfrei klappt. Er nimmt immer die Kundensicht ein, und das wird so akzeptiert, auch wenn es schon mal unbequem ist.
Kernaufgabe des Customer Touchpoint Managers ist es, an allen Interaktionspunkten zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden eine hundertprozentige Kundenfokussierung zu erreichen. Seine Rolle ist crossfunktional. Sie hat sowohl strategische als auch operative Komponenten. Sein Ziel ist die Transformation des gesamten Unternehmens hin zu einer vernetzten, kundenzentrierten Organisation. Die nächste Ausbildung zum zertifizierten Customer Touchpoint Manager findet vom 17. bis 19. September 2020 in München statt. Hier geht’s zu weiteren Infos.
Über die Autorin
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge und bietet Workshops an. Sie zählt zu den gefragtesten Rednern im deutschsprachigen Raum. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. 2019 erhielt sie den Best Business Book Award. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler sowie zertifizierte Customer Touchpoint Manager aus. Kontakt: www.anneschueller.de
Das Buch zum Thema – auch als Hörbuch erhältlich
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft, Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, ISBN: 978-3869368993
Finalist des International Book Award 2019