Multi-Channel-Management gegen digitale Vergesslichkeit der Unternehmen

von Bernhard Steimel
5. Dezember 2013
Vom Dialog 2.0 zum Service 2.0

Das gebetsmühlenartige „vorne breit gefächert und hinten gebündelt“ ist absolut richtig

„Auf dem Weg in Richtung Zielarchitektur muss eines ganz klar sein: Unternehmen werden dann erfolgreich sein, wenn sie ihre Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter und teilweise auch ihre Kunden involvieren und zu einem Teil dieses Prozesses machen.“


Dirk-Scholand Dirk Scholand, Managing Director bei eGain Deutschland, spricht im zweiten Teil des Smarter Service Talks über Customer Engagement, Kunde-hilft-Kunde-Support und virtuelle Service-Agenten.

Harald Henn spricht immer so schön von „außen fächern, innen bündeln“. Wie funktioniert das in der Praxis?

DIRK SCHOLAND: Das gebetsmühlenartig vorgebrachte „vorne breit gefächert und hinten gebündelt“, wie man es auch ausdrücken kann, ist absolut richtig. Schaut man sich zum Beispiel den E-Service-Gedanken der Researcher von Gartner im Detail an, sagt dieser genau das aus: Der Kunde sollte idealerweise den Kommunikationskanal wählen dürfen, der ihm gerade passend erscheint, wenn – das ist die Voraussetzung – das Unternehmen mannigfache Kanäle anbietet. Tut es das, dann muss das Unternehmen das Prozessgeschäft so organisieren, dass die Kanäle gebündelt werden.

Nur so ist es in der Lage, den Mitarbeitern ein User-Interface anzubieten, ein Frontend im Zusammenspiel mit einer vernünftigen Wissens-Datenbank. Die Mitarbeiter arbeiten dann idealerweise mit diagnostischen Funktionen statt mit fragmentiertem Wissen. Wichtig sind außerdem gewisse Workflow-Engines, mit denen Skills, Service-Level und Routing festgelegt werden können. Das alles ist wichtig, um das Multi-Channel-Thema intelligent zu betreiben. Und laut der Analysten geht genau hier die Reise hin.

Der Begriff der Reise ist bei der digitalen Transformation übrigens sehr relevant, man spricht schließlich auch von der „Customer Journey“. Der Kunde bewegt sich in die digitale Welt hinein und das Unternehmen folgt ihm.

Wir haben allerdings noch nicht erlebt, dass sich ein Unternehmen für eine komplett neue Technologie entschieden hat und alle Kanäle ad hoc erneuert bzw. migriert hat. Das wäre sicher auch eine Überforderung. Unsere Kunden tragen stattdessen ein dezidiertes Problem an uns heran. Zum Beispiel, dass die Zielgruppen verstärkt Internet-Dienste in Anspruch nehmen, das Unternehmen entsprechende Hilfe-Angebote im Web aber nicht zur Verfügung stellen kann. Wir lösen somit zunächst das dringendste punktuelle Problem, das ein Kunde hat. Gleichzeitig definieren wir mit dem Kunden bereits im Vorfeld weitere strategische Schritte, beispielsweise wie der der Customer Service in zwei Jahren funktionieren soll. Es werden in der Regel einzelne Kanäle auf einer zentralen Plattform in Betrieb genommen, sodass wir Zug um Zug siloartige Point-to-Point-Solutions ablösen.

Multi-Channel-Management mit yourfone

Mit der Firma yourfone, einer 100-prozentigen Tochter von E-Plus-Mobilfunk, haben wir zum Beispiel die Multi-Channel-Strategie definiert und einen Kanal nach dem nächsten in Betrieb genommen. Dieses Vorgehen empfehlen wir auch anderen Kunden, denn die Veränderungsprozesse, die damit einhergehen, stellen für die Mitarbeiter eine Herausforderung dar. Häufig ist es so, dass sie im Zuge der Veränderungen anderes eingesetzt werden, und das muss beachtet werden.

Wie unterstützt die eGain Plattform Unternehmen, jede Frage unabhängig vom Kanal konsistent und zuverlässig zu beantworten? Bitte lass uns das an konkreten Kundenbeispielen diskutieren!

DIRK SCHOLAND: Im Laufe von 15 Jahren hat eGain eine Technologie entwickelt, die heute unangefochten ist und die unsere Position als Marktführer begründet. Sie bietet Lösungen nicht nur im Multichannel Customer Engagement, sondern auch für die Optimierung von Verkaufsprozessen und Kundenservice im Web.

Die Philosophie von eGain lautet, digitale Prozesse mit der klassischen Mitarbeiter- und Call Center-basierten Servicewelt intelligent zu verknüpfen. Das Customer Engagement sollte über alle Kanäle so organisiert werden, dass jederzeit auf Basis einer zentralen Datenbank konsistentes Wissen in allen Service-Kanälen bereitgestellt wird. Multilingual und über alle Anforderungen und Kanäle hinweg kann das Content Management für diese Wissensdatenbank so organisiert werden, dass sehr effiziente Prozesse entstehen.

Die Wissensdatenbank, die eGain entwickelt hat, ist mittlerweile auch im diagnostischen Umfeld so stark, dass wir beispielsweise Global-Partner von Vodafone sind und Kunden wie z.B. die Telekom Austria gewonnen haben. Wir sind in der Lage, Geschäftsprozesse und Herausforderungen einzelner Branchen zu verstehen und daraus mithilfe eines sehr intelligenten und weit entwickelten Baukastens Lösungen zu produzieren, um mit dem Unternehmen den idealen Transformationsprozess zu beschreiten.

Ein konkretes Beispiel ist die E-Mail-Beantwortung. Gerade mittelständische Unternehmen beantworten ihre E-Mails häufig noch mit Outlook oder Lotus Notes und verzichten im Ablauf somit auf Prozessintelligenz. Mithilfe der eGain-Plattform automatisieren wir die Themen, lesen den Content aus, treffen automatisiert bereits Antwort-Entscheidungen und holen den richtigen Artikel direkt aus der Wissensdatenbank heraus und im Zweifel gibt es außerdem Unterstützung durch eine Backend-Information.

Ein weiteres Beispiel: Liegt bei einem großen Telekommunikationsunternehmen wie beispielsweise Orange in Frankreich eine Netz-Störung vor, wird dieses Problem mithilfe der eGain-Plattform direkt aus den Vermittlungsstellen abgegriffen. Und noch bevor der erste Mitarbeiter eine E-Mail zu dieser Problemlage auch nur öffnet, bekommt er einen Antwort-Vorschlag mit all dem Content und all den Informationen, die wir aus der Wissensdatenbank und aus externen Informationsquellen bis hin zur internen Diagnostik im Backend gewonnen haben. Das ist realisierte Prozesseffizienz! Sowohl die Antwortgeschwindigkeit als auch die Antwortqualität sind mit der Technologie optimiert worden.

Dies machen wir letztlich mit allen Kanälen – Mail, Chat, Video-Chat oder Social. All diese Themen bündelt eGain auf einer Plattform mit einer starken Wissens-Datenbank im Kern. Das heißt, wir organisieren zu jeder Zeit geschlossene Kundenkontakt-Historien über alle Kanäle hinweg. In solch einer Lösung steckt wirkliche Multi-Channel-Kompetenz. Idealerweise ist diese Lösung modulartig organisiert im Sinne eines Baukastens, der Evolution zulässt und keine Revolution produziert.

Viele Service-Center sind wie Fabriken organisiert. Kundenkontakte sollen auf ein Minimum reduziert werden. Effizienz-Kriterien sind primäre Erfolgsmaßstäbe. Service wird von vielen Unternehmen nicht als Wertschöpfungsquelle erkannt. Ist diese Organisationform noch zukunftstauglich? Und wenn nicht, was muss sich ändern?

DIRK SCHOLAND: Dahinter steckt letztlich die spannende Frage: Wie entwickelt sich die Gesellschaft? Wie verhalte ich mich im privaten Umfeld und welchen Einfluss hat das auf Organisationen, auch auf den großvolumigen Contact-Center-Bereich? Wie sollen sich diese Organisationen in Zukunft verhalten, um meinen Bedürfnissen gerecht zu werden?

Ich denke, dass die Service-Center so, wie sie heute organisiert sind, die größte Veränderung erfahren werden, weil wir heute noch eine sehr zentral organisierte Landschaft betreiben. Es finden immer wieder Konsolidierungen statt, und die großen Dienstleister haben zehn und mehr Standorte und möchten weiter wachsen. Es müssen also immer wieder Standorte für mehrere Hundert Mitarbeiter aufgebaut und anderen Stellen wieder geschlossen werden. Ich zweifele schon seit längerem die Sinnhaftigkeit an. Warum bringt man nicht die Arbeit zu den Menschen, anstatt immer noch die Menschen zur Arbeit?

Warum müssen Call Center Mitarbeiter täglich etliche Kilometer zurücklegen, um auf Daten zuzugreifen, zu telefonieren und den PC zu bedienen? Das kann problemlos auch im Home-Based-Umfeld geschehen. Bei diesem Thema sind uns die Amerikaner und Engländer weit voraus, und das trifft einerseits den Zeitgeist im Sinne eines effizienten Umgangs mit Ressourcen. Andererseits ist die Qualität dessen, was Mitarbeiter home-based leisten, oftmals höher im Vergleich zu den Ergebnissen in klassischen Service-Centern. Ein tolles Beispiel dafür sind die Services der Value5. Thomas Dehler ist der Pionier in Deutschland, wenn es um das Thema intelligentes home based working geht.

Die zentrale Organisation wird auch bei uns einer dezentralen Organisation weichen. Meine ganz persönliche Prognose lautet, dass wir in 5-10 Jahren auf eine ganz andere Landschaft schauen, und diese Landschaft wird davon geprägt sein, die Arbeit zum Menschen zu bringen statt die Menschen zur Arbeit. Dafür brauche ich geeignete Prozesse und smarte Technologie. Ich brauche aber auch eine neue Form der Mitarbeiterführung, und das wird unsere Industrie in den kommenden Jahren ein Stück weit verändern.

Ein weiterer Aspekt: Wenn ein Kunde das Unternehmen kontaktiert, weil er die Hilfe eines Experten benötigt, stellt sich die Frage, wer dieser Experte ist. Ist es tatsächlich ein Unternehmensmitarbeiter, oder ist es ein versierter Kunde des Unternehmens?

Nehmen wir als Beispiel das iPhone von Apple: Bevor Apple ein neues iPhone in den Markt bringt, beschäftigen sich bereits Heerscharen von intelligenten Menschen damit, wie das neue Modell funktioniert, welche Handicaps es gibt, wie Einstellungen verändert werden können und so weiter. Das sind aus meiner Sicht ebenfalls Experten, die von Unternehmen teilweise auch schon im User-2-User Support eingesetzt werden. In der Cloud werden Services angeboten, die auf Augenhöhe zwischen versierten und hilfebedürftigen Kunden eine Verknüpfung herstellen. Das Unternehmen selbst kann sich aus diesen Prozessen ein Stück weit rausziehen.

Der Kunde-hilft-Kunde-Support muss natürlich gut organisiert sein, und Unternehmen können ihn modifizieren, indem sie intelligente Anreizsysteme schaffen. Experten können also – ganz gleich, ob sie Beschäftigte des Unternehmen sind oder nicht – auch von zu Hause aus quasi als virtuelle Service-Agenten agieren und ihr Wissen zur Verfügung stellen und die Datenbank mit Wissen anreichern.

Was sind Zutaten von zukunftssicheren Service-Strategien und wie sieht der Customer Service der Zukunft aus?

DIRK SCHOLAND: Erste Voraussetzung ist die Unternehmensstrategie: Es muss vollständig klar sein, wo das Unternehmen heute steht und wo es in 24 oder 36 Monaten sein will. Zweitens muss eine Service-Strategie formuliert werden, die ein inhärenter Teil der Unternehmensstrategie ist. Sie darf auf keinen Fall davon losgelöst sein.

Wenn ich als Unternehmen eine klare Vorstellung von der Zukunft habe und davon, wie mein idealer Service von morgen aussieht, dann kann ich auch Aussagen über meine derzeitigen Schwachstellen treffen. Und auf dem Weg in Richtung Zielarchitektur muss eines ganz klar sein: Unternehmen werden dann erfolgreich sein, wenn sie ihre Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter und teilweise auch ihre Kunden involvieren und zu einem Teil dieses Prozesses machen. Immer wenn wir eine solche Situation erleben, sehen wir erstklassige Transformationsprozesse.


Teil 1 des Interviews.

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