Trotz aller Hürden gibt es bereits die ersten Gesundheitsökosysteme in Deutschland, sagt Harald Henn, Marketing-Resultant, in unserem Interview. Damit sie skalieren müssen die rechtlichen Grundlage für den Datenaustausch geschaffen werden.
Eine wichtige Grundlage von digitalen Gesundheitsökosystemen ist das Teilen von Daten. Wie weit ist das deutsche Gesundheitssystem in dieser Hinsicht?
Die Bereitschaft Daten zu teilen, hängt vom Vertrauen und der Transparenz ab. Die Patienten müssen wissen, was mit den Daten passiert. Doch viele Patienten sind durch die Pandemie geprägt, als die Datenübertragung zu den Gesundheitsämtern nicht funktioniert hat. So ist das Vertrauen der deutschen Patienten in die Datenübertragung jedweder Art nicht besonders hoch.
Im Gesundheitssystem muss zunächst einmal die Grundlage für den Datenaustausch geschaffen werden, anschließend folgt der Aufbau von Vertrauen. Leider blockiert im Moment die sehr rigide Gesetzeslage viele Entwicklungen. Ein häufiges Argument ist der Datenschutz. Deshalb hat man oft den Eindruck, dass die DSGVO eine prima Sache für alle ist, die gegen Digitalisierung sind. Sie können damit praktisch jedes Projekt zum Einsturz bringen.
Wie weit sind digitale Gesundheitsökosysteme denn trotz aller Hindernisse vorangeschritten?
Technisch ist sehr viel möglich. Die israelische Gesundheits-App Binah.ai arbeitet mit Gesichtserkennung und kann damit eine ganze Menge von Werten wie Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung erkennen.
Daneben gibt es eine Reihe von Apps der Krankenkassen, die aber noch sehr fragmentiert sind. Nur einige Abschnitte einer Patient Journey werden schon sehr gut unterstützt. Vor allem die Techniker-Krankenkasse ist relativ weit vorne dabei. So unterstützt sie mit der App Living Well Clinical Krebskranke und verbessert ihre Lebensqualität. Die App TK-Doc verbindet Versicherte mit Medizinern im TK-Ärztezentrum und ermöglicht eine schnelle Hilfe per Video-Chat.
Zudem gibt es bereits erste Verbünde aus Klinik, Reha-Klinik, angeschlossenen Ärzten und Apotheken, zum Beispiel gesund.de, die zentrale Gesundheitsplattform der Apotheken. Ein weiterer wichtiger Vorreiter ist das Schweizer Ökosystem Medgate, bei dem der Kunde nur noch eine Anlaufstelle hat, die mit Telemedizin und einem Verbund aus Dienstleistungen Patienten eine Versorgung aus einem Guss geben. Leider ist so etwas in Deutschland nur sehr eingeschränkt möglich.
„Wenn man über Customer Experience spricht, muss man auch über Ecosystems und Plattformökonomie sprechen. Der Wert für die Kunden generiert sich ja nicht ausschließlich über den Dialog mit einem Unternehmen. Am Beispiel Gesundheit sieht man, wie sehr viele unterschiedliche Stakeholder einen Wert für diesen Kunden generieren können - Value For The Customer. “
Harald Henn auf LinkedIn
Woran liegt das?
Damit die Krankenkassen größere Gesundheitsökosysteme bilden können, müssen die Gesetze und Rahmenbedingungen noch einmal auf den Prüfstand. Wir dürfen den Krankenkassen und anderen Stakeholdern keine Steine in den Weg legen. Der Markt ist zum Teil sehr stark abgeschottet; nicht jeder Stakeholder hat Interesse an bestimmten Veränderungen.
Die Ökosysteme fahren sonst immer im ersten Gang mit angezogener Handbremse. Dann gibt es lediglich Zwergen-Ökosysteme, die im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen einige Punkte miteinander verbinden, beispielsweise eine Klinik und die Reha-Klinik und vielleicht noch die Apotheke.
Doch diese Zwergen-Ökosysteme sind der Nukleus. Das aus meiner Sicht der richtige Weg: Für den Patienten gute Angebote schaffen, vielleicht 10-15 funktionierende kleinere Ökosysteme. Wenn der Patient das Gefühl hat, er ist der Herr seiner Daten, dann ist irgendwann die kritische Masse so groß, dass die Systeme automatisch skalieren.