„Unternehmen wie Globetrotter, Planet Sports oder Kaufdichglücklich wissen, was ihre Kunden wollen, und verkaufen neben Produkte auch ein Lebensgefühl, dass sie an ihre Kunden weitergeben.“
Marc Pöpplow, Berater bei der Mücke, Sturm & Company GmbH, spricht im zweiten Teil des Smarter Service Talk über Everywhere Commerce.
Welche Chancen liegen in der Synchronisation von Online-Angeboten mit dem laufenden TV- und Werbe-Programm? Was kann man von Zalando lernen?
PÖPPLOW: Bisher haben sich die Hoffnungen auf TV-Commerce-Umsätze durch interaktives TV – jenseits des klassischen Home Shoppings à la QVC – trotz der kontinuierlich steigenden Anzahl an internetfähigen Fernsehern, nicht erfüllt. Dies ist nicht fehlenden technischen Standards geschuldet, sondern vor allen Dingen der Bedienbarkeit. Es ist einfach nicht komfortabel, Eingaben über die TV-Tatstatur zu machen.
Die Hoffnungen von vielen stützen sich deshalb auf den sogenannten Second Screen, denn immer mehr Nutzer surfen während des Fernsehens parallel mit einem zweiten Geräte im Internet. Nach dem „Fokusreport Mutliscreen“ des BVDWs ist der Second Screen bei 49 Prozent der Deutschen bereits Alltag. 26 Prozent der Online-Aktivitäten während des Fernsehschauens haben dabei einen direkten Bezug zum TV-Inhalt. Tatsächlich steigen die Besucher Zahlen im Online Shop von Zalando nach eigenen Angaben um das Dreifache unmittelbar nach der Werbeausstrahlung eines Werbespots.
Die Werbung löst somit einen Reiz aus, der zu einem unmittelbaren Shopbesuch des Zuschauers führt. Eine Synchronisation von TV-Programm, Werbeinhalt und Shopangebot könnte dieses Phänomen nochmals verstärken. Aktuell experimentiert beispielsweise Toyota in Kooperation mit Shazam an einer Verknüpfung von Werbeinhalt und Second Screen. Drückt man bei Ausstrahlung der Toyota-Werbund auf den Shazam Button, erkennt die App via Voice Recognition den Werbeinhalt und leitet direkt auf die Toyota Seite weiter. Allerdings ist eine schnelle Reaktionszeit gefragt. Die Zeit zwischen Werbeausstrahlung, Smartphone Entsperrung und App Aufruf ist so knapp bemessen, dass sich dieses Konzept für die Werbeausstrahlung kaum durchsetzen wird.
Wahrscheinlicher ist die Durchsetzung eines Konzeptes, wie es derzeit von der Social TV App WyWy in Kooperation mit stagefisher erprobt wird. Per Tonerkennung checkt man hier in die Sendung ein, anschließend werden dem Nutzer Kleidungsstücke angezeigt, die in der Episode getragen werden, inklusive Verlinkung zum Onlineshop. Die Platzierung von Werbebotschaften in bekannten TV-Shows wie „Sex and the City“, „Gossip Girl“ oder „How I met your mother“ ist heutzutage schon sehr populär. Mit dem Durchbruch dieser Technologie ergibt sich gerade beim jungen Publikum großes online Shoppping-Potenzial.
Wie funktioniert das bei eBay? Was weiß man über die Nutzungsquoten?
PÖPPLOW: Mit „Watch With eBay“ hat eBay Anfang 2012 in den USA eine eigene App an den Start gebracht, die speziell auf das Nutzungserlebnis Second Screen ausgerichtet ist. Der Nutzer wählt parallel zur Fernsehnutzung über die App den Kanal aus, den er gerade im TV schaut. Die App listet anschließend Produkte auf, die entweder gerade in der Sendung zu sehen sind, oder die thematisch zu den gezeigten Inhalten passen. Allerdings ist das Nutzungserlebnis noch nicht sehr fortschrittlich.
Die App arbeitet weder dynamisch, noch ist sie mit der aktuellen Sendung synchronisiert. Sie listet einfach auf, was gerade zu den gezeigten Sendungen passen könnte. Das funktioniert beispielsweise bei Sportereignissen noch relativ gut. Bei einem Basketballspiel gelangt man so an Basketballtrikots über den Online-Shop. Es ist jedoch nicht gesagt, dass das angebotene Trikot auch zu dem gezeigten Spiel passt. Noch schwieriger wird es bei Sendungen wie z.B. „How I met your mother“. Der ausgebeulte Second Hand Anzug eines eBay Verkäufers, hat mit den schicken Designeranzügen von Barney Stinson wirklich gar nichts gemein. Dementsprechend ist die Idee, die eBay hier hatte gar nicht so schlecht, leider ist die Umsetzung jedoch noch ausbaufähig.
Über die Nutzungsquoten ist mir leider nichts bekannt.
Wie kann der stationäre Handel besser seine USPs „Produkte zum Anfassen“ und Beratung ausspielen?
PÖPPLOW: Preislich kann der stationäre Handel nicht mit dem Onlinehandel, der auf teure Innenstadtlagen und Personal zur Beratung verzichten kann, mithalten. Deshalb müssen sich stationäre Händler, insbesondere wenn sie überwiegend horizontal aufgestellt sind, andere Differenzierungsmöglichkeiten suchen, um sich weiterhin gegen den Onlinehandel behaupten zu können.
Vorweg ist dabei zu sagen, dass es global aufgestellt Händler, die sich an sämtliche Käufergruppen richten und keine streng definierte Zielgruppe vorweisen können, in Zukunft schwer haben werden. Gute Chancen haben dagegen Händler, mit einer eindeutigen Positionierung und einer klar definierten Zielgruppe, selbst wenn sie horizontal aufgestellt sind. Unternehmen wie Globetrotter, Planet Sports oder Kaufdichglücklich wissen, was ihre Kunden wollen, und verkaufen neben Produkte auch ein Lebensgefühl, dass sie an ihre Kunden weitergeben.
Konsumenten bei Kaufdichglücklich besitzen alle ein ähnliches Wertegefühl und fühlen sich schon beim Eintritt in die meist kleinen, nicht-perfekt durchgestylten Läden einer gewissen, dort zu findenden Gruppe zugehörig. Dieses Gefühl muss zum Aushängschild des Einkaufserlebnisses werden und sich durch die gesamte Strategie des Unternehmens ziehen – Sortiment, Marketing, Ladengestaltung, Beratung, Verkäufer, Aktionen etc. müssen darauf abgestimmt sein. Der Händler wird selbst zur Marke, so dass der Kunde das stationäre Einkaufserlebnis und den direkten sozialen Kontakt dem online Shopping vorzieht.
Wie lassen sich mit den „Service-Enablern“ neue Geschäftsmodelle für den Handel entwickeln? Wie wird der POI zum POS?
PÖPPLOW: Multi-Touchpoint darf nicht zu einem Selbstzweck werden, der die Strategie, die Marktausrichtung und den Mehrwert eines Handelsunternehmens definiert. Der Kunde kauft das Produkt nicht, weil er über das Smartphone, über das Tablet und in stationären Geschäftsstellen bedient wird. Dementsprechend lassen sich durch Service Enabler keine neuen Geschäftsmodelle, sondern zusätzlicher Mehrwert für Kunden auf Basis eines existierenden Geschäftsmodells und somit zusätzliche Absatzkanäle und im besten Fall neue Kunden und mehr Umsatz und sogar Gewinn erzielen.
Service Enabler wie Location Based Services oder Social Media helfen in diesem Zusammenhang bei der Feinjustierung der Marketingkommunikation. Es geht darum, dem Kunden das richtige Angebot zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, über den richtigen Kanal zu unterbreiten. Über Touchpoints wie mobile Apps, QR-Codes, Coupons, Recommendations, Newsletter, Fanpages von Facebook und Pinterest, sowie Twitter oder Foursquare Accounts haben wir zahlreiche Kontaktpunkte geschaffen, um Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Durch die Aufzeichnung des Kundenverhaltens und der Auswertung der gesammelten Daten auf einer zentralen Plattform können dynamische im Sinne von an das Verhalten angepasste Nachrichten erstellt und versendet werden (Behavioral Marketing). Um ein komplettes Bild des Kunden zeichnen zu können, müssen in der On- sowie der Offline-Welt so viele Kontaktpunkte wie möglich geschaffen werden.
Welche Rolle werden digitale Loyality Cards zukünftig spielen?
PÖPPLOW: Digitale Loyalty Karten haben in ihrer Nutzungssituation vielfältige Vorteile gegenüber den heutigen realen Karten. Das Smartphone trägt man im Alltag – ähnlich wie den Geldbeutel – stets bei sich. Im Unterschied zum Geldbeutel jedoch macht eine weitere Karte beim Smartphone keinen Unterschied, während sie jedoch den Geldbeutel unnötig verstopft. Im Zweifelsfall hat man die richtige Karte beim nächsten Einkauf deshalb aus dem Portemonnaie entfernt und im richtigen Moment nicht zur Hand. Dies kann bei einer digitalen Karte nicht passieren.
Dennoch hat sich die digitale Karte bis heute nicht durchgesetzt. Dies liegt unter anderem an:
- Dem fehlenden Innovationsgeist vieler Händler.
- Der Kundenstruktur von Loyalty Karten: Mehrheitlich nutzen Kunden im fortgeschrittenen Alter Loyalty Karten. Diese stehen digitalen Anpassungen nicht per se aufgeschlossen gegenüber.
- Keinem händlerübergreifenden Standard: Nutzer werden nur in seltenen Fällen von jedem Händler separat eine App herunterladen, installieren und nutzen. Generell haben große Händler hier mehr Chancen als kleine Händler. Ein digitales Pendent zu Payback oder eine digitale Payback Karte könnte zum Durchbruch verhelfen.
Was sind die Auswirkungen von neuen mobilen Bezahlverfahren auf den Handel? Lassen Sie uns das am Beispiel von Square diskutieren?
PÖPPLOW: Mobile Payment-Verfahren bringen viele Vorteile mit und haben das Potenzial, stationäre Verfahren abzulösen. Zum einen profitieren die Händler dadurch, dass sie sehr viel einfacher Kartenzahlungen annehmen können, da sie dafür lediglich ein Smartphone und ein (meist) kostenfreien Card-Reader benötigen. Des Weiteren entstehen finanzielle Vorteile. Es müssen keine Mietgebühren für Terminals bezahlt werden, sondern eine transaktionsbasierte Gebühr wird an die Anbieter der Dongles/Payment-Lösungen (z.B. Square) entrichtet. Es entsteht also ein komplett neues, disruptives Geschäftsmodell, bei welchem die Installation und Anbindung an das System sehr einfach ist.
Doch nicht nur die Möglichkeit mobil Zahlungen entgegen zu nehmen, sondern auch das mobile Bezahlen der Kunden durch die sogenannten Mobile Wallets wird den Händlern zu mehr Umsatz verhelfen. Bei diesen lädt der Kunde z.B. über seine Kreditkarte ein bestimmtes Guthaben auf seine Mobile Wallet, mit welchem er dann in Geschäften bezahlen kann indem die App einen Code einscannt, auf welchem Daten wie der Preis des Produktes und die Kontodaten des Händlers gespeichert sind. Das Mobile Wallet nimmt umgehend eine Überweisung vor und die Ware ist bezahlt.
Dem Kunden ist es also jederzeit möglich Transaktionen abzuwickeln, obwohl er seine Geldbörse oder sein Bargeld nicht dabei hat. Diese Lösung ist also nicht nur bequemer sondern auch um einiges schneller, da lediglich ein Code eingescannt werden muss und dieser Vorgang innerhalb von Sekunden geschieht. Es werden also mehr Transaktionen zu Stande kommen, weil diese aus Gründen wie z.B. fehlendes Bargeld nicht mehr scheitern können.
Als Beispiel für die mobilen Bezahlverfahren kann man den US-Anbieter „Square“ anführen. Dieser hat neben einem mobilen Point of Sale („Square Register“) auch eine Mobile Wallet-App („Square Wallet“) entwickelt. Das klassische Bezahlsystem wird dadurch komplett ersetzt. Die Händler benötigen kein klassisches Kassensystem mehr und die Konsumenten müssen ihre Geldbörse nicht mehr mit sich tragen.
Die App „Square Register“ auf dem Smartphone oder Tablet reicht dem Händler um Zahlungen des Konsumenten, welche er mit Hilfe seines Smartphones und der App „Square Wallet“ ausführt, anzunehmen. Die neuen mobilen Bezahlverfahren bringen also viele Vorteile mit sich. Fraglich ist jedoch, ob die Gesellschaft es schafft genügend Vertrauen ihnen gegenüber aufzubringen. So hegen viele Menschen immer noch eine große Skepsis gegenüber dem Mobile Payment, welche vor allem durch Bedenken bzgl. der Sicherheit begründet ist.